In Potsdam geht was
„Uns ist es wichtig, Leute für das Thema Klimawandel zu sensibilisieren. Zugleich wollen wir aber auch zeigen: In Potsdam geht was. Wir haben hier international führende Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in der Forschung zum Klimawandel und dessen Folgen“, sagt der Geograph Dr. Wolfgang Schwanghart, der zusammen mit Andreas Kubatzki, Studiengangskoordinator des CLEWS-Masterprogramms, die Ringvorlesung in Golm organisiert. Gemeint sind damit vielzitierte Forschende wie Prof. Dr. Johan Rockström und Prof. Dr. Stefan Rahmstorf vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung, aber auch zahlreiche Expertinnen und Experten aus diversen Instituten der Universität Potsdam, die diese Reihe so interdisziplinär machen. Im Wintersemester 2025/26 sind aber auch Vortragende aus nichtwissenschaftlichen Bereichen vertreten, wie etwa Sabine Minninger von der Nichtregierungsorganisation „Brot für die Welt“, die über den Einfluss des Klimawandels auf menschliche Mobilität spricht. Und Luisa Neubauer, bekannt als Organisatorin und Sprecherin der deutschen „Fridays for Future“-Klimastreiks, die seit 2019 dem Vorbild der Schulstreiks von Greta Thunberg in Schweden folgen.
Die Macht der Narrative
Der Hörsaal des Instituts für Umweltwissenschaften und Geographie ist voll, als Neubauer Mitte November mit der Bahn nach Golm kommt. Zwischen Studierenden, Lehrenden und der Gastdozentin geht es familiär zu, man duzt einander, Studierende geben eine kurze Einleitung zur heutigen Vorlesung und am Ende ist eine Fragerunde eingeplant. Beim Vortrag der Klimaaktivistin, die selbst Geographie studiert, geht es um Narrative. Wie wurden fossile Brennstoffe normalisiert und im Fall des Automobils sogar attraktiv gemacht? Sie zeigt ein Bild von Sean Connery, dem James Bond der Siebzigerjahre, auf dem dieser lässig an einem Sportwagen lehnt. Wie wurde dieses Bild zu einem Symbol für Freiheit und nicht etwa ein gut funktionierender öffentlicher Nahverkehr oder das Fahrrad? Neubauer nennt dieses Konzept „fossile Geschichten“. Diese wurden in Werbung, Film und Fernsehen gezielt eingesetzt, um das Auto an ein bestimmtes Bild von Männlichkeit, Coolness und Freiheit zu binden.
Ein weiteres Beispiel ist die Forschung zu den Folgen von CO2, die bereits in den Siebzigerjahren zeigte, dass ein ungebremster Ausstoß einen negativen Einfluss auf das Klima haben würde. Große Player der fossilbrennstoffverarbeitenden Industrie hätten diese Studien zwar selbst finanziert, die Ergebnisse jedoch zurückgehalten. Stattdessen habe man das Konzept des fossilen Fußabdrucks entwickelt, mit dem Privatpersonen den Kohlendioxidausstoß ihrer Konsumentscheidungen messen können – und so das Problem auf Individuen verlagert. Auch dies sei eine Art von Erzählung, die das öffentliche Bild vom Klimawandel und dem Umgang damit formt. Aktuell werde die Sprache der Klimakommunikation vor allem durch die Themen Sicherheit und nationale Autarkie geformt, spätestens seit dem Angriffskrieg in der Ukraine. Entsprechend habe sich auch die Sprache, mit der über Klimaproteste berichtet wird, verändert. Luisa Neubauer zeigt Bilder von Schlagzeilen zu Klimaprotesten, die von Krieg und Konflikt sprechen. Es ist die Rede von Terrorismus, Systemsprengern, gar die Formierung einer Klima-RAF wird befürchtet, wenn Protestierende den Verkehr an einer Kreuzung aufhalten.
Nicht nur dorthin schauen, wo die Welt untergeht
Als Mittel dagegen schlägt Luisa Neubauer die Vorstellungskraft vor. Es brauche Gegenerzählungen: Warum nicht auch mal darüber sprechen, wenn die Bahn doch wider Erwarten pünktlich kommt? Oder über die Freiheit, die ein Deutschlandticket bietet? Die Debatte über Windräder, die die Landschaft verschandeln? Lieber darüber reden, dass Kohlekraftwerke auch nicht gerade hübsch sind und wie gut frische Luft tut. Es gehe also nicht mehr nur um den Kampf gegen Desinformation, sondern ebenso darum, aktiv neue Narrative zu erschaffen und zu etablieren. Auch Forschende können dazu beitragen: „Um ein guter Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin zu sein, muss man kein Kommunikationsprofi sein. Aber es hilft enorm, dass immer mehr Expert*innen sich mit der öffentlichen Vermittlung ihrer eigenen Arbeit beschäftigen und selbst laut werden. Wir Aktivist*innen probieren dann, die wissenschaftlichen Erkenntnisse in politische Forderungen zu übersetzen“, sagt Neubauer nach ihrem Vortrag im Interview.
Die Schwierigkeit bestehe dabei darin, bei allen Widrigkeiten nicht den Mut zu verlieren. Wissen ist Macht, aber Wissen kann auch zu Ohnmacht führen, gerade bei solch existenziellen Themen wie dem Klimawandel. Schnell könne man sich überfordert fühlen, wenn man zwar viel Wissen zum Thema habe, die Handlungsmöglichkeiten aber sehr beschränkt scheinen. Was dagegen hilft, sei ein gewisses Weltvertrauen. Als Beispiel nennt Luisa Neubauer Umfragen, in denen sich der größte Teil der Befragten für einen entschiedeneren Einsatz gegen Umweltverschmutzung und Klimawandel ausspricht. Zudem könnten positive Nachrichten und der unermüdliche Einsatz anderer Hoffnung machen: „Ich gucke nicht nur dorthin, wo die Welt untergeht. Sondern auch dorthin, wo Menschen jeden Tag Einsatz zeigen, Solidarität leben und beweisen, dass nicht alles verloren ist, nur weil wir nicht alles gewonnen haben.“
Weitere Informationen:
Zur Ringvorlesung Potsdam Climate & Sustainability Lectures: https://www.uni-potsdam.de/de/umwelt/institut/home/lecture-series#c667560
Dr. Wolfgang Schwanghart ist Privatdozent am Institut für Umweltwissenschaften und Geographie und befasst sich in seiner Forschung mit Naturgefahren: https://www.uni-potsdam.de/de/umwelt/institut/alle-mitarbeiterinnen/schwanghart-wolfgang
Andreas Kubatzki ist Koordinator des Studiengangs CLEWS: https://www.uni-potsdam.de/de/umwelt/institut/alle-mitarbeiterinnen/kubatzki-andreas

